Rolandslied

Rolandslied
Rolandslied,
 
französisch Chanson de Roland [ʃã'sɔ̃ dərɔ'lã], ältestes, um 1100 entstandenes französisches Heldenepos (Chanson de Geste), das in der (ältesten und bedeutendsten erhaltenen) Handschrift von Oxford (12. Jahrhundert, in frühanglonormannischer Mundart) aus 4 002 durch wechselnde Assonanzen zusammengehaltenen Zehnsilblern besteht. Ob der in der letzten Zeile genannte Kleriker Turoldus der Dichter, der Kopist, der Bearbeiter einer Vorlage oder ein Vortragender ist, war lange Zeit umstritten. Heute geht man allgemein davon aus, dass er der begabte Redaktor mündlicher Überlieferungen war.
 
Den historischen Kern der Erzählung bildet die Vernichtung der Heeresnachhut Karls des Großen durch die Basken im Pass von Roncesvalles im Jahr 778. Das (von Einhard in seiner »Vita Karoli Magni« um 835 nur beiläufig erwähnte) zugrunde liegende historische Ereignis erscheint hier erweitert und (im Zusammenhang mit einer möglichen Entstehung des Rolandslieds zur Zeit des ersten Kreuzzugs) als Aufruf zum Kampf gegen die Sarazenen gestaltet. Held der Handlung ist Roland.
 
Die Handlung setzt nach dem Sieg Karls des Großen über die Sarazenen ein, die er mit Ausnahme des Königs Marsilius und der in seiner Gewalt verbliebenen Stadt Saragossa bezwungen hat. Auf Rolands Vorschlag entsendet er dessen Stiefvater Ganelon als Friedensboten. In der irrigen Annahme, Roland wolle ihn ins Verderben stürzen, verabredet Ganelon mit Marsilius einen Überfall auf Karls Nachhut, und es gelingt ihm, Roland den Befehl über die Nachhut übertragen zu lassen. Im Tal von Roncesvalles fallen Roland (im Epos das Symbol unbesonnenen Heldenmutes) und sein historisch nicht bezeugter Freund Olivier (Symbol der Besonnenheit), da Roland sich weigert, Oliviers Rat zu folgen und Karls Heer zu Hilfe zu rufen. Der eigentlichen Roland-Handlung folgen die Vernichtung der Heiden durch den zurückgekehrten Karl am Fuß der Pyrenäen sowie des (Marsilius zu Hilfe geeilten) Emirs Baligant und dessen riesigem Heer bei Saragossa, die Beisetzung Rolands und der übrigen Paladine in Blaye an der Gironde, die Heimkehr nach Aachen und das Strafgericht über Ganelon. - Über die Theorien zur Entstehung Geste.
 
Nachdichtungen:
 
Vom Erfolg des Oxforder Rolandslieds zeugen die zahlreichen Bearbeitungen, von der bald erfolgten Umsetzung in die gereimte Form Handschriften des 13.-15. Jahrhunderts. Das Rolandslied gab ferner den Auftakt zur Abfassung weiterer Heldenlieder über andere Abenteuer Karls des Großen, seine Jugend usw. sowie über die gegen ihn rebellierenden Vasallen. Die Übertragung des altfranzösischen Rolandslied durch den Pfaffen Konrad ins Mittelhochdeutsche wird auf 1172 datiert. Der Stoff fand in Deutschland v. a. durch die Bearbeitung des Strickers (»Karl«, um 1220/30) weite Verbreitung. Auf dem altfranzösischen Rolandslied fußen auch eine lateinische Prosafassung, der Pseudo-Turpin, das spanische Fragment »Roncesvalles« (um 1230) und die nordische »Karlamagnússaga« (13. Jahrhundert). In Spanien erfolgte eine Umdeutung und Abwandlung des Stoffes, die den sagenhaften Helden Bernardo del Carpio an der Seite der Sarazenen gegen Roland und die Franzosen kämpfen lässt. In Italien wurde der Stoff selbstständig weiterentwickelt; als wichtigste Werke sind zu nennen: A. da Barberinos Ritterroman »I reali di Francia« (herausgegeben 1491), L. Pulcis Epos »Il Morgante« (1478, endgültige Fassung 1483 unter dem Titel »Il Morgante maggiore«), die Orlando-Epen M. M. Boiardos (entstanden 1476-94) und L. Ariostos (1516-21). In deren Folge entstanden L. F. de Vega Carpios Drama »La hermosura de Angélica« (1602) und Opern (P. Quinault und J.-B. Lully, 1686; Grazio Braccioli, * 1682, ✝ 1752, und G. F. Händel, 1733). In Spanien fand - wie auch schon in Italien (1572 Epos Lodovico Dolces, * 1508, ✝ 1568) - u. a. die Liebesgeschichte der Eltern Rolands Eingang in die Dichtung (Vega Carpios Epos »La mocedad de Roldán«). Im 19. Jahrhundert entstanden v. a. um den Tod Rolands zahlreiche Romanzen und Balladen (F. de La Motte-Fouqué, 1805; F. Schlegel, 1806; L. Uhland, 1808 und 1841; A. de Vigny, 1829) sowie Dramen (K. L. Immermann, 1819).
 
Ausgaben: Les textes de la Chanson de Roland, herausgegeben von R. Mortier, 10 Bände (1940-44); La Chanson de Roland, übersetzt von H.-W. Klein (1963, altfranzösisch und deutsch, Nachdruck 1983); La Chanson de Roland, herausgegeben von P. Jonin (1979); La Chanson de Roland. Texte établi d'après le manuscrit d'Oxford, übersetzt von G. Moignet (1985); La chanson de Roland, herausgegeben von C. Segre, 2 Bände (Neuausgabe 1989).
 
Das altfranzösische Rolandslied. Nach der Oxforder Handschrift, herausgegeben von A. Hilka (81997).
 
 
M. Delbouille: Sur la genèse de la Chanson de Roland (Brüssel 1954);
 
Bulletin bibliographique de la Société Roncesvals (Paris 1958 ff.);
 P. Aebischer: Rolandiana et Oliveriana. Recueil d'études sur les chansons de geste (Genf 1967);
 P. Le Gentil: La Chanson de Roland (Paris 21976);
 R. F. Cook: The sense of the Song of Roland (Ithaca, N. Y., 1987);
 J. Maurice: La chanson de Roland (Paris 1992).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
Rolandslied und Chanson de Geste: Spiegel nationaler Geschichte
 

Universal-Lexikon. 2012.

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